geboren am 18. Januar 1896,
Deutscher jüdischer Herkunft,
Kaufmann, Wirtschaftsberater,
seit 1911 beim FC Bayern, Spieler,
Emigration 1934 nach Prag,
1938 nach Lima, Peru,
1939 nach Quito, Ecuador,
1944 nach Bogota, Kolumbien,
gestorben am
24. Dezember 1944 in Bogota, Kolumbien.
Als in den Clubnachrichten des FC Bayern im Jahre 1951 unter der Rubrik „Wo sind sie?“ nach Mitgliedern gesucht wird, deren Spuren sich in den Jahren zwischen 1933 und 1945 verloren haben, endet die Auflistung der Namen stets mit der Frage „Wer aber weiß etwas von: Engel Harry, Feuchtwanger, Haas Lola?“ Mit „Feuchtwanger“ ist nicht der berühmte Schriftsteller Lion Feuchtwanger (1884 bis 1958) gemeint, sondern dessen jüngster Bruder Berthold Feuchtwanger. Dieser kommt am 18. Januar 1896 als vorletztes der neun Kinder des Margarinefabrikanten Sigmund Feuchtwanger (1854 bis 1916) und dessen Frau Johanna, geborene Bodenheimer (1864 bis 1926), zur Welt. Wie seine älteren Brüder besucht er zunächst die Volksschule St. Anna im Stadtteil Lehel, sowie danach das Wilhelmsgymnasium. Berthold schlägt nicht wie seine Brüder, eine akademische Laufbahn ein, sondern wird Kaufmann. Im Gegensatz zu seinem berühmten Bruder Lion, scheint der 12 Jahre jüngere schon früh einen gepflegteren Umgang mit Geld verinnerlicht zu haben. Als Lion in den Jahren zwischen 1910 und 1912 seiner Spielsucht wegen chronisch verschuldet ist, steht er laut seiner Tagebuchaufzeichnungen auch immer wieder bei seinem damals 14-jährigen Bruder, genannt „Bubi“, in der Kreide. Ebenso ist diesen Aufzeichnungen zu entnehmen, dass Berthold in dieser Zeit Nachhilfeunterricht von Lion erhalten hat.
Berthold scheint aus der Reihe der Geschwister zu fallen, da sich früh abzeichnet, dass er sich wohl später einmal nicht in intellektuellen Kreisen bewegen wird. Mit 16 Jahren verlässt er das Gymnasium, eine Berufsausbildung wird er nicht ablegen. Lions spätere Frau Marta, wird ihren jüngsten Schwager lediglich einmal in ihren Memoiren erwähnen. Hier merkt sie an, dass eines der wenigen Talente, worüber Berthold verfügt, das Fußballspiel sei. Tatsächlich tritt dieser im Alter von 15 Jahren 1911 der damaligen Jugendmannschaft der Fußball-Abteilung Bayern im Münchner Sport-Club, wie der FC Bayern damals heißt, bei.
Als im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, meldet er sich ebenso wie seine älteren Brüder, freiwillig zum Kriegsdienst. Bereits in den folgenden Jahren 1915 und 1916 wird er mehrmals wegen Tapferkeit ausgezeichnet, unter anderem mit den Eisernem Kreuz II. und I. Klasse. Wie viele seiner Kriegskameraden kommt auch er nicht ohne Blessuren davon. Er wird verletzt und darüber hinaus werden bei ihm ein „Nervenschock mit späteren schweren Nervenstörungen“ diagnostiziert. Aber er überlebt den Krieg.
1922 heiratet Berthold Feuchtwanger die 24-jährige Gertrud Röttgen (1898 bis 2001), die ebenfalls jüdische Wurzeln hat. Die Ehe wird kinderlos bleiben. In den Inflationsjahren 1922 und 1923 schrumpft das Vermögen der einstmals wohlhabenden Familie Feuchtwanger, so dass nach dem Tode der Mutter im Jahre 1926 die Geschwister lediglich ein geringes Erbe erhalten, was Berthold - im Gegensatz zu seinen mittlerweile betuchten Brüdern – besonders trifft. Unter der Adresse Theresienstraße 70 ist er Anfang der 1930er Jahre als Kaufmann und seine Frau Gertrud als Damenschneiderin gemeldet.
Bruder Lion, mittlerweile ein international anerkannter Schriftsteller und seit Jahren Kritiker der aufstrebenden Nationalsozialisten, befindet sich zur Jahreswende 1932/1933 auf Vortragsreise in England und in den USA. Nachdem am 30. Januar 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kommen, ist für ihn eine Rückkehr nach Deutschland nicht mehr möglich. Auch Berthold gerät nun sehr schnell in die Fänge der neuen Machthaber. Es wird ihm vorgeworfen, er hätte 1919 Ritter von Epp erschießen wollen. Dieser war damals führend an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligt und nun NSDAP-Reichsstatthalter.
Als er zu einem Verhör geladen wird, gibt er zu Protokoll: „Ich habe niemals irgendwelchen politischen Organisationen oder sonstigen Vereinen angehört und mich niemals irgendwie politisch oder vereinstechnisch betätigt. Ich gehöre lediglich seit zirka 20 Jahren dem Fußball-Club Bayern an.“
Im Juli 1934 wird er erneut denunziert. Es wird ihm vorgeworfen, er habe sich abfällig über von Schirach und Hitler geäußert. Mittlerweile gehört er einem Widerstandskreis um den Münchner SPD-Aktivisten Anton Aschauer an. Die Situation für ihn scheint immer prekärer zu werden. Noch im gleichen Jahr flüchtet Berthold Feuchtwanger aus Deutschland. Er emigriert nach Prag, von wo aus er weiterhin aktiv im Widerstand tätig ist. So ist belegt, dass er im Oktober 1935 nach Zürich reist, wo er sich mit dem ehemaligen KPD-Reichstagsabgeordneten Hans Beimler trifft, um eine Art „Antifaschistische Einheitsfront“ zu gründen. Es sollen Flugblätter in der Schweiz gedruckt werden. Das Vorhaben scheitert, da die Gestapo davon erfährt.
Ehefrau Gertrud, die zunächst in München zurückblieb, folgt Berthold im August 1937 nach Prag. Am 11. Januar 1938 sehen beide letztmalig Bruder Lion. Sie besuchen ihn im Exil im südfranzösischen Sanary. Berthold berichtet ihm dort laut Lions Tagebuchaufzeichnungen „anschaulich über deutsche Nazis, Kommunisten und Juden“. Von dort brechen Berthold und Gertrud Feuchtwanger nach Südamerika auf. Hier werden Beide für die nächsten Jahre in Peru leben, wo er Teilhaber einer Mine ist und dort unter schwersten körperlichen Bedingungen auch bis September 1939 arbeitet.
In den nächsten drei Monaten versucht er vergeblich nach Brasilien zu flüchten. Ende des Jahres 1939 kehrt er gesundheitlich sehr angeschlagen nach Peru zurück. Im März 1940 gelingt die Ausreise nach Ecuador, wo er sich in den nächsten Jahren mit Gelegenheitsarbeiten auf verschiedenen Haciendas durchschlägt. Dazwischen verbringt er im Mai 1941 18 Tage im Gefängnis, da er keine gültigen Ausweispapiere vorweisen kann. Ab diesem Zeitpunkt betreibt er wieder brieflichen Austausch mit Bruder Lion in den USA. Im Herbst 1941 muss er sich einer Leberoperation unterziehen. Ab 1943 verschlechtert sich sein Gesundheitszustand rapide, schließlich wird im Juli 1944 Hautkrebs diagnostiziert. Mittels finanzieller Unterstützung seiner im Exil lebenden Geschwister begibt er sich zur Therapie nach Bogota in Kolumbien. Bruder Lion versucht in den kommenden Monaten vergeblich, ihm die Einreise in die USA zu ermöglichen. Am 26. Dezember 1944 erhält er vom behandelnden Arzt aus Bogota die Nachricht, dass Berthold am 24. Dezember 1944 verstorben ist.
Von den acht Geschwistern Bertholds überlebten sieben den Holocaust in der Emigration. Die 1891 geborene Schwester Bela Traubkatz wird am 12. September 1943 in Theresienstadt ermordet. Bertholds Frau Gertrud wird noch lange Jahre in den USA leben, wo sie am 12. Januar 2001 im Alter von 102 Jahren stirbt.
Die Frage aus den Clubnachrichten des FC Bayern München anno 1951 „Wer aber weiß etwas von Feuchtwanger?“ sollte noch jahrzehntelang unbeantwortet bleiben.
Andreas Wittner
Quellen:
Clubnachrichten FC Bayern, Mai 1930
Berthold Feuchtwanger (1896 - 1944) - Genealogy (geni.com)
BioZott_Josef.pdf (muenchen.de)
StAM PolDir. 12279; Friedbert Mühldorfer, 16.7.2015
Specht, Heike; Die Feuchtwangers; Wallstein Verlag; 2006
Feuchtwanger, Marta; Nur eine Frau; Berlin Aufbau Verlag; 1984
Feuchtwanger, Lion; Möglichst intensives Leben; Berlin Aufbau Verlag, 2018
Feuchtwanger Memorial Library; USC
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