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ALFRED REITLINGER


geboren am 5. September 1908,

Deutscher jüdischer Herkunft,

1933 konvertiert zum Christentum,

Revisor im Landwirtschaftsministerium,

1934 beruflich degradiert,

1944 vorübergehend inhaftiert,

seit 1929 beim FC Bayern,

Präsident von 1955 bis 1958,

gestorben am 5. April 1983.

 

Alfred Reitlinger wird am 5. September 1908 in der damaligen Marktgemeinde Schwabmünchen, 24 km südlich von Augsburg liegend, geboren. Seine Eltern, der Oberamtsrichter Leo Reitlinger und Olga, geborene Strauß, verlegen 1915 den Lebensmittelpunkt der Familie nach München. Hier besucht Alfred nach der Volksschule das Theresien-Gymnasium, welches er 1924 16-jährig mit dem Abitur abschließt. In den folgenden Jahren bis 1927 absolviert er eine Banklehre. Bei der Disconto Gesellschaft in München, damals einer der größten Bankgesellschaften Deutschlands, verdingt er sich bis 1929 als Bankkaufmann.

 

Im April des gleichen Jahres 1929 tritt Reitlinger dem FC Bayern bei. Geworben wird er von seinem drei Jahre älteren Bruder Anton, der dort bereits seit einem guten Jahr in den Mitgliederlisten geführt wird.

 

Im Mai 1930 kreuzen sich beruflich erstmals Reitlingers Wege mit denen Kurt Landauers. Beim Verlag Knorr & Hirth, wo der FC Bayern-Präsident als Leiter der Anzeigeabteilung tätig ist, wird der damals gerade 22-jährige Reitlinger als Prokurist und Disponent eingestellt. Bereits zweieinhalb Jahre später steigt er weiter auf der Karriereleiter nach oben. Ab Dezember 1932 fungiert er als Revisor bei der Bayerischen Landesbauernkammer, für die er zunächst auch noch nach deren Auflösung im Rahmen der Gleichschaltung der Länder durch die Nationalsozialisten tätig ist.

 

Auch das Privatleben von Alfred Reitlinger befindet sich in diesen Jahren im Wandel. Die „Bayerische israelitische Gemeindezeitung“ vom 14. Februar 1934 vermeldet seinen Austritt vom Judentum zum 9. Dezember 1933, ebenso den seines Bruders Anton zum 15. Dezember 1933. 1934 heiratet Alfred die Katholikin Kreszenz Kugler und tritt zum Katholizismus über. Ihr Sohn Alfred jun. wird am 13. November 1934 geboren.

 

Zu diesem Zeitpunkt befindet Alfred sen. sich bereits im arbeitslosen Stand. Zum 1. August 1934 wurde er bei der Bayerischen Landesbauernkammer, seiner jüdischen Herkunft wegen, fristlos entlassen. Von April 1935 bis Ende dieses Jahres kommt er als Bankbeamter bei der Münchener Kassenverein AG, einer Tochtergesellschaft der jüdisch geprägten Berliner Handelsgesellschaft, unter. Es dauert erneut vier Monate, bis April 1936, ehe er bei der Münchner Bank Gebrüder Marx wieder eine Anstellung findet. Bei einem der Gesellschafter der Bank handelt es sich um Siegfried Salomon ´Salo´ Marx, seines Zeichens langjähriges Mitglied des FC Bayern. Nach der Arisierung dieses Bankhauses verliert Reitlinger im Herbst 1936 aber auch hier bereits nach kurzer Zeit seinen Job.

 

Auch in der Folgezeit wird er beruflich FC Bayern-nah unterkommen, allerdings nicht mehr als Bankangestellter. Von Ende 1936 bis April 1938 ist er als technischer Angestellter in der Textilfabrik von Emil Sommer, zwischen 1930 und 1933 ebenfalls FC Bayern-Mitglied, tätig. In gleicher Funktion beschäftigt ihn anschießend bis 20. November 1938 die ebenfalls jüdische Textilfirma Klauber, deren Inhaber bis 1933 auch der FC Bayern-Familie angehörten. Hier arbeitet Alfred Reitlinger erneut mit Kurt Landauer zusammen, ehe dieser am 10. November ins KZ Dachau verschleppt wird.

 

Erst 1941 findet er wieder Arbeit als kaufmännischer Leiter bei der metallverarbeitenden Firma Drexler & Co. Nachdem er hier im September 1942 auf Veranlassung der Deutschen Arbeiterfront entlassen wird, verpflichtet ihn die Gestapo bis November 1943 zur Zwangsarbeit als Hilfsarbeiter in der Druckerei Opbacher. 1944/1945 betätigt er sich als Sachbearbeiter der Arbeitsgemeinschaft des Schlosserhandwerks München.

 

Es muss davon ausgegangen werden, dass Alfred Reitlinger in diesen Jahren über mehrere schützende Hände verfügte, um als „Nichtarier“ schadensfrei durch diese Zeiten gelangt zu sein. Als 1944 sein Bruder gesucht wird, gerät auch Alfred in die Fänge der Gestapo. Er wird für mehrere Tage verhaftet, verhört und auch misshandelt. Bruder Anton Reitlinger wird im Februar 1945 im KZ Dachau ermordet. 

 

Nach dem Ende der Nazidiktatur gelingt es Alfred Reitlinger sehr rasch, beruflich wieder dort anzuschließen, wo seine Karriere 1934 von den Machthabern jäh unterbrochen worden war. Er wird bereits am 16. August in das Bayerische Amt für Ernährung und Landwirtschaft bestellt, wo er zunächst als Leiter der Geld- und Vermögensverwaltung tätig ist. In den kommenden Monaten erfolgen mehrmalige Beförderungen, so bereits im Dezember 1946 im Alter von 38 Jahren zum Ministerialrat, im Februar 1947 die Verbeamtung auf Lebenszeit.

 

Auch beim FC Bayern taucht bereits 1946 Alfred Reitlingers Name wieder auf der neu zusammengestellten Mitgliederliste auf. Als im Sommer 1949 die 3. A.H. ins Leben gerufen wird, schnürt er für dieses Team wieder seine Fußballschuhe. Dass er bereits in jungen Jahren regelmäßig in den unteren Mannschaften aufgelaufen war, zeigt die Tatsache, dass ihm im Juli 1951 für 400 Spiele das Goldenen Spielerehrenzeichen überreicht wird. Zu dieser Zeit ist er bereits auch schon in den dreiköpfigen Wahlausschuss des Clubs gewählt worden.

 

In den folgenden Jahren 1952 und 1953 wird er im Vorfeld der Jahreshauptversammlungen für das Amt des Präsidenten vorgeschlagen. Reitlinger lehnt jedoch jedes Mal seine Nominierung ab. Erst als der FC Bayern 1955 sowohl wirtschaftlich als auch sportlich mit dem Rücken zur Wand steht, ist er bereit, Verantwortung zu übernehmen. Im Frühjahr 1955 zeichnet sich der erstmalige Abstieg der Vereinsgeschichte aus der damals höchsten Liga, der Oberliga Süd, ab. Unter dem Präsidenten Karl Wild im März 1955 und dessen Nachfolger Hugo Theisinger im April 1955 lässt Reitlinger sich zum 2. Vorsitzenden wählen.

 

In einer abermaligen Versammlung am 19. Juli 1955 stellt auch Theisinger das Amt zur Verfügung. Alfred Reitlinger erklärt sich in der bis heute größten Krisenzeit des FC Bayern bereit, das höchste Amt im Verein zu übernehmen. Er ist damit im Jahre 1955 nach Dr. Fischer, Karl Wild und Hugo Theisinger der vierte Präsident des Clubs. Mit ihm kehrt nun endlich für die nächsten Jahre wieder Ruhe in den Verein ein.

Unter Reitlingers Ägide steigt der FC Bayern mit einer jungen Mannschaft und einem Trainer aus den eigenen Reihen, dem verdienstvollen ehemaligen Spieler Bertl Moll, nach einem Jahr wieder in die Oberliga Süd auf.

 

In den folgenden Jahren gelingt es, auch dank seines späteren Nachfolgers Roland Endler, sich wieder in dieser Liga zu etablieren. Der Fabrikant aus Neuss am Rhein tritt im Oktober 1955 in den FC Bayern ein. Von Beginn an unterstütze er den Club finanziell. Ab Mai 1957 fungierte er dann unter Präsident Reitlinger als 3. Vorsitzender, womit er gleichzeitig das Amt des Spielausschussvorsitzenden einnimmt. Mittels Endlers finanzieller Unterstützung konnten zum Beginn der Spielzeit 1957/58 mehrere etablierte Neuzugänge für die Vertragsspielermannschaft verpflichtet werden.

 

Im Sommer 1957 erringt die FC Bayern-Elf, noch ohne die Verstärkungen, den Süddeutschen Pokal, der damals als Qualifikation für die Endrunde um den DFB-Pokal gilt. So kommt es, dass man zu den lediglich fünf Vereinen des Klassements um den Vereinspokals zählt. Mit nur drei Siegen gewinnt der FC Bayern unter Präsident Alfred Reitlinger im Finale am 29. Dezember 1957 mit 1:0 gegen Fortuna Düsseldorf den DFB-Pokal. Wie bei der Deutschen Meisterschaft 1932 unter Kurt Landauer steht auch beim zweiten nationalen Titel des FC Bayern mit Alfred Reitlinger ein Präsident mit jüdischen Wurzeln an der Spitze des Vereins.

 

Am Ende der Spielzeit 1957/58 belegt der FC Bayern den 7. Tabellenplatz in der Oberliga Süd. Reitlinger jedoch, ist zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr Präsident. Am 29. April 1958 kommt es im Löwenbräukeller zu einer denkwürdigen Jahreshauptversammlung. In den Clubnachrichten des Folgemonats ist darüber zu lesen: „Es wurde dann wohl auch die stürmischste Generalversammlung in der langen Geschichte des FC Bayern.“ Im Vorfeld geht man bereits davon aus, dass „etwas Besonderes in der Luft liegt“.

 

Nach dem Jahresbericht von Reitlinger folgte „eine stundenlange, alle Ufer sprengende Debatte“. Die Aussage: „Die Neuwahlen zogen sich bis weit über Mitternacht hin. Alfred Reitlinger lehnte nach dreijähriger Tätigkeit als 1. Vorsitzender schließlich eine weitere Kandidatur ab“, lässt darauf schließen, dass Reitlinger wohl nicht so ohne Weiteres bereit ist, seinen Präsidentenstuhl zu räumen. Für die Mitglieder ist es in dieser Zeit aber wichtig, mit Roland Endler einen potenten Geschäftsmann an der Spitze des Clubs zu wissen, der in den folgenden Jahren den FC Bayern mit großen Summen unterstützen wird.

 

Alfred Reitlinger scheidet leider im Unguten von seinem FC Bayern, den er in der prekärsten Phase der Vereinsgeschichte zwischen 1955 und 1958 als Präsident wieder in ruhige Fahrwasser geführt hat. In der Folgezeit nach seinem unfreiwilligen Rücktritt wird ihm vorgeworfen, dem Club unrechtmäßige Reiseabrechnungen vorgelegt zu haben. Vor Gericht wird er hierfür aber freigesprochen. In den Clubnachrichten vom September 1958 ist der Name Alfred Reitlinger letztmalig erwähnt. In der Rubrik „Vereinsaustritte“. 1961 wird der 53-jährige Ministerialdirigent im Bayerischen Landwirtschaftsministerium in den Frühruhestand versetzt. Alfred Reitlinger verstirbt am 7. April 1983 im Alter von 74 Jahren.

 

Andreas Wittner

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